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Der geheimnisvolle Klub und der "attentive spectator"

 

In diesem Bereich leistet die Kamera in vielen Filmen vor 1914 ganze Arbeit: Sie ist, unabhängig von ihrer instrumentellen Mobilität, permanent auf einer Entdeckungsreise. In ihren besten Momenten erschließt sie Detailansichten einer im Umbruch befindlichen, sich unablässig wandelnden Lebenswelt.

Die soziale Relevanz dieser sinnlichen Entdeckungsreisen liegt auf der Hand.

Doch Heide Schlüpmanns These, die „soziale Mobilität, die sich in der Mobilisierung der Kamera (…) niederschlägt“, sei „die des in Bewegung geratenen Geschlechterverhältnisses“,3 verengt den Befund.

Die Filme verhandeln eine Epoche, in der vieles in Bewegung gerät und nach Emanzipation drängt, aber ihr authentisches Operationsfeld ist zunächst die Emanzipation einer noch vorindustriell geprägten, literarisch gefesselten oder moralisch genormten Sinneswelt.

 

Der verheißungsvolle Begriff Emanzipation verschleiert freilich eher eine durchaus zweischneidige Angelegenheit. In den Jahrzehnten, die der Etablierung des Kinos vorausgehen, findet nach Jonathan Crary ein epochaler Abschied und ein nicht minder epochaler Durchbruch statt: der Abschied von der Jahrhunderte lang gültigen Vorstellung, die Abbilder unserer Wahrnehmung seien ein „natürliches“ Produkt äußerer Sinnesreize – und der Durchbruch zur Erkenntnis, dass sich unsere sinnlichen Erfahrungen der Zusammensetzung und Funktionsweise unseres Wahrnehmungsapparats – „the composition and functioning of our sensory apparatus“4 – verdanken.

 

 

  

 

 

3) Heide Schlüpmann: Unheimlichkeit des Blicks. Das Drama des frühen deutschen Kinos. Basel, Frankfurt a.M.: Stroemfeld/Roter Stern 1990, S. 135.

4) Jonathan Crary: Suspensions of Perception. Attention, Spectacle, and the Modern Culture. Cambridge/Mass., London: MIT Press 2001, S. 12.