Der geheimnisvolle Klub und der "attentive spectator"
Den engen Interieurs zahlloser deutscher und französischer Gesellschaftsdramen vor 1914, den mit Portieren, Säulen, Spiegeln, Topfpalmen, schweren Möbeln und Teppichen vollgestopften Salons und Boudoirs einer weder psychisch noch gar politisch verarbeiteten Gründerzeit setzt Delmont in seinen Außenszenerien ein Flair von Freiheit, Wagemut und Unberechenbarkeit entgegen. Er zeigt eine obere Mittelschicht, die in Bewegung geraten ist. Man liebt das Unterwegssein und nutzt die Verkehrsmittel nicht nur zur Fortbewegung, sondern zur Temposteigerung. Dies gilt gerade auch für die gebildete, auf die moderne Welt und ihre Abenteuer neugierige junge Frau, soweit sie den „besseren Kreisen“ entstammt und das Privileg genießt, sich weitgehend unabhängig zu bewegen. Ilse Verstraaten begnügt sich nicht mit den diversen Briefbotschaften ihres Verlobten; sie macht sich selbst auf den Weg, um ihm bei seinen gefährlichen Recherchen zur Seite zu stehen. Sie wird aus Sorge um den geliebten Mann zu einer aktiven, umsichtig handelnden Frau. Teilnahmsvoll beobachtet die Kamera aus der Nähe ihr Gesicht im Eisenbahnabteil, während am Fenster die grauen Stadtlandschaften monoton vorüberziehen; sie verfolgt Ilses beschleunigte Autofahrt durch das Stadtzentrum und gleitet schließlich mit ihr im Ruderboot durch die Kanäle auf der Suche nach dem Haus, in dem der geheimnisvolle Klub sein Unwesen treibt. Bei einer riskanten Fassadenkletterei steigt die junge Frau, sportlich trainiert, voran und greift dem gemächlicheren Detektiv unter die Arme.
Delmont entwickelt in diesem Film ein ausgeprägtes Gespür für die narrativen, gleichzeitig emotionalen Qualitäten des Lichts: für das Spiel der Sonnenstrahlen auf einer Glasfläche, die Gegenlichteffekte bei der Verfolgungsjagd im Hafen (Abbildung 5), das wechselnde Hell/Dunkel unter den Hafenbrücken oder die fahlen, schattenhaften Stimmungswerte in den engen Grachten Rotterdams, denen die bläuliche Virage zusätzlich eine unheimliche Tönung verleiht (Abbildung 6). Ein jäher Lichtausfall fungiert als Spannungsmoment und, für den bedrohten Helden, als Blackout der Handlungsoptionen: Gerhard Bern sitzt im Klub der Selbstmörder buchstäblich in der Falle, wenn im Raum, in dem ihn seine Feinde gefangen halten, von außen das Licht abgeschaltet wird und seine im Dunkeln tastende Hand unvermittelt eben jenen Revolver umklammert, mit dem er sich erschießen soll. Kurz danach sorgt ein neuer Lichtausfall für eine dramatische Zuspitzung – er verhilft im allgemeinen Durcheinander Gerhards Gegenspieler van Geldern zur Flucht, wobei er Ilse als Geisel nimmt. Sehr ähnlich wird Joe May ein Jahr später in Der Mann im Keller (1914), dem dritten Abenteuer seiner Stuart Webbs-Serie, das Dunkel oder das Halblicht nutzen, um aus der Spannung zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren einen zusätzlichen Thrilleffekt für den dramatischen Höhepunkt zu schaffen.